Die Geschichte eines Klassikers

Gemeinsam 1965 aufgestiegen, dominieren Borussia und der FC Bayern bis zum Ende der Siebzigerjahre die Bundesliga. Danach geht die Schere zwischen beiden Klubs auseinander. Man hat sich Komplimente gegeben, sich gestritten und wieder versöhnt. Auf jeden Fall hat man den Werdegang des einstigen großen Rivalen nie aus den Augen verloren.

Als die Bayernprofis um Paul Breitner und Kalle Rummenigge das Spielfeld des Bökelbergstadions an diesem 24. März 1979 jubelnd verlassen, haben sich die Reihen auf der Haupttribüne des Borussenstadions längst gelichtet. Nein, diese Demütigung konnte man sich nun wirklich nicht mehr mit ansehen. 1:5 stand es aus Gladbacher Sicht zur Pause, 1:7 am Ende – und das auch nur, weil die Bayern im zweiten Abschnitt ein paar Gänge zurückschalten. Mannschaftsarzt Dr. Alfred Gerhards muss tief durchschnaufen: „Abgesehen von unserem ersten Bundesligajahr kann ich mich nicht daran erinnern, dass wir einmal so auseinandergenommen wurden wie diesmal von den Bayern.“ Dabei beinhaltete das Duell Borussia gegen Bayern doch bis dato das Versprechen, dass sich hier zwei europäische Topklubs auf Augenhöhe begegnen, ein Schlagabtausch der großen Trainer und Nationalspieler des Landes. Zwischen 1969 und 1977 hatten beide Vereine alle Meistertitel unter sich aufgeteilt. Doch spätestens die Meisterschaft des 1. FC Köln 1978 beendete diese Dominanz. Da die Helden von einst ihren Zenit allmählich überschritten hatten, stand bei beiden Klubs in unterschiedlichem Maße ein Neuanfang an. Dieses 1:7 ist für den letzten Optimisten der Wink mit dem Zaunpfahl, dass die Schere zwischen beiden Teams auseinandergeht.

Als sich beide Vereine am 2. Oktober 1965 zum ersten Bundesligaduell auf dem Bökelberg treffen, sind die Bayern Spitzenreiter, die jugendlichen Borussen müssen sich noch an die raue Bundesligaluft gewöhnen. Mehr als 30.000 Besucher staunen über die Abgeklärtheit der Süddeutschen, die am Ende verdient 2:1 gewinnen. „Hätte ich hinten einen Mann wie Beckenbauer“, sagt Trainer Hennes Weisweiler, „wäre bestimmt manches besser gelaufen“. Doch es ist längst nicht nur der elegante Shootingstar, der die Bayern so stark macht. In Sepp Maier gibt es einen herausragenden Torwart und in Brenninger, Ohlhauser, Müller und Nafziger gefährliche Offensivspieler. Bayern wird in seiner ersten Bundesligasaison auf Anhieb Dritter – während Borussia mit den herausragenden Offensivtalenten Heynckes, Netzer, Laumen und Rupp manches Mal ein wenig naiv stürmt und am Ende Dreizehnter wird.

Es ist von Beginn an so, dass Fußballfeste garantiert sind, wenn beide Teams aufeinandertreffen. Nach einer 3:4-Niederlage der Gladbacher im Stadion an der Grünwalder Straße sagt Bayern-TrainerTschikCajkovski anerkennend: „Ein solcher Gegner macht Freude, kommt mit System und gutem Spiel, ist noch ein bisschen schneller als wir. Spiele gegen Gladbach sind großartig, mit die besten Spiele der Saison.“ Und am Anfang solche, die Borussia nicht gewinnen kann: Fünf Münchener Siegen folgen drei Unentschieden. Bis, ja bis die FohlenElf am 23. August 1969 erstmals den Angstgegner besiegt. Werner Kaiser und Herbert Laumen treffen zum 2:1-Sieg gegen die Bayern, die ein paar Monate zuvor erstmals die Meisterschale gewannen. Die Gladbacher hatten ihre Lehren aus den ersten Bundesligajahren gezogen und neben der talentierten Offensivreihe endlich auch die Defensive verstärkt. Auf Bayerns erste Meisterschaft 1969 folgten Borussias Titel in den Jahren 1970 und 1971. Danach wurde Bayern dreimal Meister, daraufhin wieder dreimal die Borussen. Hennes Weisweiler soll es gar gefuchst haben, dass beide Klubs zwar zeitgleich aufgestiegen sind, die Bayern aber ein Jahr früher die Schale in der Hand hatten.

Schaulaufen der Nationalspieler

Die Duelle zwischen Borussia und den Bayern sind schon früh ein Schaulaufen von jeweils rund einem halben Dutzend Nationalspieler. Will sich der Bundestrainer ein Bild machen vom Zustand seiner Stars, so wählt er am besten den „Süd-West-Gipfel“. Vor Beginn der Saison 1970/71 antwortet Helmut Schön auf die Frage nach dem kommenden Meister: „Ich glaube kaum, dass außer Borussia und Bayern München ein anderer Verein in Frage kommt.“ Er sollte Recht behalten. Auf dem Weg zum Titel räumt Borussia Verfolger Bayern München am 14. April 1971 aus dem Weg, besonders der wie entfesselt spielende Günter Netzer sorgt für Schlagzeilen. „Man fuhr Ferrari, nicht Jaguar“, schreibt die Fußball-Woche nach dem Spiel. Netzers Sololauf zum 1:0, das 2:0 von Ulrik Le Fevre nach Netzer-Freistoß und der 3:1-Endstand von Herbert Laumen – die spielerische und freche Art und Weise, wie die Jungs aus dem kleinen Mönchengladbach gegen die Münchener agieren, beeindruckt Fußball-Deutschland.

Es ist zu jener Zeit cool, zu Borussia zu halten. Jener Mannschaft, die niemals aufhört, hemmungslos zu stürmen. Die elf Tore gegen Schalke schießen kann und sogar sieben gegen Inter Mailand. Deren Anführer der langhaarige und unangepasste Netzer ist und der krasse und romantische Gegenentwurf zu den pragmatischen, eher konservativen und ergebnisorientierten Bayern. Erlebnis- gegen Ergebnisfußball. „Wir gewannen damals oft 4:3, die Bayern eher 1:0“, blickt Rainer Bonhof zurück. „Aber beide Systeme waren sehr interessant.“ Bayerns Gerd Müller haderte damals neidvoll: „Wenn ich bei Mönchengladbach spielen würde, würde ich jede Menge Tore machen.“ Zur Erinnerung: Mit 365 Treffern ist Müller bis heute erfolgreichster Bundesliga-Torschütze aller Zeiten. Eine Aussage, die irgendwie typisch ist für den respektvollen Umgang miteinander. Aber auf dem Platz, da geht es rund. Im Februar 1972 endet ein Duell auf dem Bökelberg 2:2, nach den beiden Heynckes-Toren kommen die Bayern durch Schneider und Roth noch zum Ausgleich. „Selten hat es auf dem Bökelberg ein besseres Spiel gegeben“, ist tags darauf in der Rheinischen Post zu lesen. „Das war Fußball von traumhafter Qualität.“ Schlagersänger Udo Jürgens, der auf der Tribüne sitzt, sagt hinterher sogar, dass ihn das Spiel zu einem Lied über Fußball inspiriert habe.

Ungleiche Waffen ab 1972

Doch bei aller Fußballromantik ist klar, dass die beiden Großen des deutschen Fußballs fortan nicht mehr mit gleichen Waffen kämpfen: Denn im darauffolgenden Sommer eröffnet im Zuge von Olympia ´72 und der WM ´74 das Münchener Olympiastadion. Die Bayern reiben sich die Hände, schließlich ziehen sie von der Grünwalder Straße in die top-moderne Arena. So sehen beispielsweise am 21. Oktober 1972 unglaubliche 74.000 Besucher den klaren 3:0-Sieg der stolzen Gastgeber gegen sichtlich beeindruckte Gladbacher - mehr als doppelt so viele Menschen, wie auf den Bökelberg passen. Einnahmen von rund 1,4 Millionen D-Mark sind da mehr als nur ein angenehmer Nebeneffekt. „Der Umzug ins neue Stadion war die wahre Geburtsstunde des FC Bayern“, blickt Rainer Bonhof zurück, der damals als Borusse auf dem Platz steht. „Der Etat eines Bundesligaklubs setzte sich damals schließlich zu achtzig Prozent aus den Ticketverkäufen zusammen, Fernseh- und vor allem Merchandisingeinnahmen waren zu vernachlässigen.“ Gleichwohl räumt Bonhof aber anerkennend ein: „Die Bayern haben ihre Chance genutzt.“

Den Münchener Stadionvorteil können die Gladbacher zunächst noch durch die Brillanz des vorhandenen Kaders ausgleichen: Immerhin schafft die FohlenElf zwischen 1975 und 1977 den Meisterschafts-Hattrick. Die Bayern aber wissen sich im beinahe exakt identischen Zeitraum (1974 bis 1976) mit dem dreifachen Triumph im Europapokal der Landesmeister zu „trösten“. In Deutschland jedenfalls ist man, so Bundestrainer Schön, „stolz, zwei solch großartige Spitzenmannschaften zu haben“, der 4:3-Sieg der Bayern im Dezember 1973 wird für viele Jahre als „bestes Bundesligaspiel aller Zeiten“ (Kicker) gelten. Der 5:0-Sieg der Borussen im sportlich bedeutungslosen Rückspiel hat einen Beigeschmack – aus Münchener Sicht den von Restalkohol. Denn die Mannschaft von Trainer Udo Lattek steht da längst als Meister fest und hat tags zuvor den Landesmeistertitel gewonnen – und kräftig begossen. „Wir hatten vier Promille“, gesteht Libero Franz Beckenbauer. „Das war die schönste und lustigste Niederlage, die ich je kassiert habe.“ Man muss sich das mal vorstellen: Pfiffe gibt es bei der Übergabe der Meisterschale nur für DFB-Präsident Dr. Gösmann, nicht aber für den Titelträger aus München.

Zwölf Weltmeister von Borussia und Bayern

Das ohnehin durch Freundschaften und jahrelange Bekanntschaften verstrickte Verhältnis beider Klubs – immerhin gehören zwölf (!) Spieler beider Vereine dem Kader an, der 1974 Weltmeister wird – erfährt im Sommer 1975 eine weitere besondere Note. Denn ausgerechnet Udo Lattek, der noch im Frühjahr bei den Bayern zum Rücktritt gezwungen wurde, wird Nachfolger von VfL-Trainer Hennes Weisweiler. Lattek plaudert vor dem ersten Spiel gegen seinen alten Klub aus dem Bayern-Nähkästchen: „Die Spieler mochten und schätzten sich gegenseitig. Die Gladbacher sind darum nie so richtig zur Sache gegangen, während die Bayern dies eiskalt ausnutzten. Einige waren drauf und dran, es als unabänderlich zu betrachten, dass sie gegen Bayern München nicht gewinnen können.“ Mit 4:1 fegen furiose Borussen ziemlich rational agierende Bayern im September 1975 vom Feld. Stielike, Simonsen, Danner und Jensen treffen, Beckenbauer schnauft nach dem Duell Erster gegen Zweiter: „Mit diesem Tempo kommt keiner mit.“

Solche Spiele werden aber immer mehr die Ausnahme, in der Bundesliga macht sich eine allgemeine Unzufriedenheit über die Finanzstärke der Vereine mit WM-Stadien breit.  Willi Müller, der Vorsitzende des 1. FC Kaiserslautern, spricht sogar von Wettbewerbsverzerrung und fordert eine Art Finanzausgleich zwischen den Klubs. Der kommt nicht, stattdessen gibt es mit Borussias Meisterschaft 1977 ein letztes großes Aufbäumen gegen die finanzkräftige Konkurrenz. Und dass dieser Titel ausgerechnet mit einem 2:2 im Münchener Olympiastadion perfekt gemacht und gefeiert werden darf, ist eine charmante Fußnote. Der für diesen Tag geplante Abschied des großen Franz Beckenbauer, der zu Cosmos New York wechselt, geht jedenfalls im schwarz-weiß-grünen Fahnenmeer unter. 

„Diese Ära kommt vielleicht nie wieder“

Es ist aber eine erzitterte Meisterschaft, mit vergleichsweise bescheidenen 44:24 Punkten und 58 erzielten Toren. Die Rheinische Post orakelt schon über das Ende der Phalanx Gladbach-Bayern: „Diese Ära wird sich so bald nicht wiederholen, vielleicht nie mehr. Der Mönchengladbacher Titelgewinn mag wie die letzte Unterstreichung dieser Einmaligkeit empfunden werden.“ Denn die großartige Spielergeneration der FohlenElf bricht schlichtweg auseinander. Nach Netzers Weggang zu Real Madrid 1973 und Weisweilers Wechsel nach Barcelona 1975 verlassen in den kommenden Jahren Henning Jensen, Uli Stielike, Rainer Bonhof und Allan Simonsen Borussia in Richtung Spanien, Hacki Wimmer, Jupp Heynckes und Berti Vogts beenden ihre großartigen Karrieren. Es wundert kaum, dass es Manager Helmut Grashoff nicht gelingt, diese Abgänge einer Jahrhundertelf trotz einer Einnahme von rund neun Millionen D-Mark adäquat zu ersetzen. Der Umbruch, der spätestens ab 1979 unter dem jungen Trainer Jupp Heynckes eingeläutet wird, geht einher mit einem fußballerischen Qualitätsverlust – auch, weil der hanseatische Kaufmann Grashoff nicht bereit ist, ins finanzielle Risiko zu gehen.

Bei den Bayern findet der ebenfalls notwenige Generationswechsel nicht nur auf dem Rasen statt: Offensivspieler Uli Hoeneß muss seine Spielerkarriere wegen einer Knieverletzung beenden und beginnt 1979 im Alter von gerade einmal 27 Jahren als Manager an der Säbener Straße. Hoeneß geht von Beginn an „All in“, investiert trotz Schulden klug in die Mannschaft, treibt auf der anderen Seite aber auch zwei Bereiche voran, die bis dato in der Bundesliga mehr oder weniger brach liegen: das Merchandising und das Sponsoring. Die Bayern werden fortan wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt, die Borussen weiterhin „nur“ wie ein Verein. 

Das Verhältnis zwischen beiden Klubs kühlt in den Achtzigern merklich ab – teilweise bis knapp über dem Gefrierpunkt. Dass sich die Bayern 1980 die Dienste von Kalle del´Haye sichern, um ihn dann mehr oder weniger auf der Bank versauern zu lassen, stößt bei den Borussen sauer auf und dient bis heute als Paradebeispiel für den Vorwurf, dass die Bayern Transfers nicht nur tätigen, um die eigene Mannschaft zu stärken, sondern auch, um Konkurrenten zu schwächen. Der Ton wird rauer. Haben die Bayern in den Siebzigern noch gesagt, wegen der „tollen Stimmung“ gerne zum Auswärtsspiel auf den Bökelberg gefahren zu sein, kann ein solches Spiel mittlerweile zum Spießrutenlauf werden. Vor allem Paul Breitner und später Kalle Rummenigge gelten als Reizfiguren und werden ausgepfiffen, auch weil das bodenständig-niederrheinische Publikum nichts mit dem großkopferten „Mia san Mia“ anfangen kann.

„Preistreiberei“, „Volksverhetzer“

Ihren Tiefpunkt erreicht die Stimmungslage zwischen beiden Klubs allerdings im Frühjahr 1984. Am 24. Spieltag hat Borussia Spitzenreiter Bayern auf dem Bökelberg zu Gast. Dass die Heynckes-Elf gegen destruktive Gäste durch zwei Treffer von Frank Mill sowie ein Tor von Hans-Jörg Criens 3:0 gewinnt, wird die Zeitungen tags darauf weit weniger beherrschen als die Personalie Lothar Matthäus. Der nämlich hat nach dem Schlusspfiff seinen Wechsel zu den Bayern bekannt gegeben. Geahnt hatten es die Borussen schon lange. Nachdem der Transfer aber gewiss ist, werden reichlich Freundlichkeiten ausgetauscht. Grashoff wirft Matthäus und den Bayern vor, mit ihm den „Molli“ gemacht und den Wechsel hinter seinem Rücken abgewickelt zu haben. Heynckes sagt, sein Spieler sei nur des Geldes wegen zu den Bayern gegangen. Hoeneß wiederum wirft Grashoff in Bezug auf die Ablösesumme „Preistreiberei“ vor und wird ihn später gar einen „Volksverhetzer“ nennen. Vielleicht hat am Ende aber auch die Rheinische Post recht, die analysiert: „Borussia muss sich die Frage stellen, ob sie Matthäus nicht durch ein frühzeitiges Angebot bereits im Frühsommer hätten an sich binden können.“

Sportlich ist das, was an jenem 24. März im „Gallischen Dorf“ Bökelstraße passiert, eine Blaupause für das Duell Gladbach gegen Bayern: David Borussia hat Goliath Bayern einmal mehr ein Bein gestellt und mischt vorne mit. Trotz Bökelberg. Trotz vergleichsweise strukturschwachem Niederrhein. Trotz kontinuierlichem Ausbluten der Mannschaft. Heynckes stößt noch am Abend mit Grashoff und Assistent Wolf Werner mit Champagner an, und Helmut Beyer sagt trotzig: „Wir werden die Ärmel aufkrempeln.“ So, wie sie es immer tun. Die Bayern allerdings geraten immer weiter außer Sichtweite.

Dennoch gelingt es den Borussen immer wieder, den Bayern auf dem Bökelberg die Stirn zu bieten und dem großen Rivalen der Siebziger zumindest für 90 Minuten auf Augenhöhe zu begegnen – dank einer bis in die Haarspitzen motivierten Mannschaft und eines ekstatisch-fanatischen Publikums. Denn spätestens seit dem Matthäus-Transfer werden die Bayern im Borussenstadion schon niedergepfiffen, wenn sie den Rasen nur zum Aufwärmen betreten. Vor allem Matthäus bekommt das erwartungsgemäß zu spüren. In seinem ersten Spiel für die Bayern – vorausgegangen war ein verschossener Elfmeter von ihm im Pokalfinale gegen die Bayern sowie einige unglückliche Aussagen als Neu-Münchener in Richtung Borussia – wird er niedergebrüllt, mit „Judas“-Rufen bedacht und von den ehemaligen Mitspielern auffällig hart rangenommen. Borussia gewinnt eine echte Fußballschlacht gegen den Herbstmeister 3:2, ein Jahr später gibt es gar ein 4:2 – für einen Abend kann alles wieder sein wie früher.

Das verwöhnte Bökelberg-Publikum muss sich aber allmählich daran gewöhnen, dass es in den Achtzigern trotz zwei dritten und zwei vierten Plätzen allmählich bergab geht – seit der Saison 1988/89 gehört man gar dauerhaft nicht mehr zu den Europapokal-Teilnehmern. Jupp Heynckes hat das für sich erkannt und Borussia im Sommer 1987 in Richtung München verlassen, mit den Worten: „Ich werde bei den Bayern meine sportlichen Ziele besser verwirklichen können.“ Worte, die man Matthäus drei Jahre zuvor noch nicht abgenommen hatte, klingen mittlerweile fast ein wenig verständlich. Ein 6:0-Sieg der Bayern im April 1986 hatte zwischenzeitlich bewiesen, dass Borussia mittlerweile „lediglich besserer Bundesliga-Durchschnitt“ (Rheinische Post) ist. Und die Bayern? Die sammeln weiterhin Titel (sieben Meisterschaften zwischen 1980 und 1990) und Geld (unter anderem elf Millionen für den Rummenigge-Verkauf an Inter Mailand und weiterhin 1,6 Millionen pro ausverkauftes Heimspiel). Sie lassen den Rest der Liga unter ihrer Dominanz stöhnen.

Zweite Liga versus Champions League-Sieger

Auch Youngster Stefan Effenberg muss seine Worte aus dem August 1989 („Zu Bayern würde ich nicht wechseln – die sind mir zu unsympathisch“) irgendwann revidieren und geht für vier Millionen D-Mark an die Isar – gemeinsam mit dem Dänen Brian Laudrup (7 Millionen) und Michael Sternkopf aus Karlsruhe (3 Millionen). Die Bayern zementieren ihre Macht, während Borussia erst am letzten Spieltag mit einem 0:0 in Uerdingen die Klasse sichert. Auch die Transfers sind in Mönchengladbach mindestens eine Klasse kleiner: Im Herbst kommt Thomas Kastenmaier von den Bayern, ein Ersatzspieler, der sich allerdings als Verstärkung entpuppen sollte. An die Verhältnisse am Niederrhein aber muss er sich erst gewöhnen: „Die Trainingsbedingungen sind sehr verschieden. Also, dass es auf unserem Trainingsgelände am Rönneter noch nicht mal Duschmöglichkeiten gibt, damit habe ich nicht gerechnet.“

Borussia findet unter Rolf Rüssmann Anschluss ans Mittelfeld der Tabelle. Der neue Manager geht mit seinen Transfers anders als sein Vorgänger ins Risiko und sorgt damit zumindest kurzfristig für Erfolg: Effenberg kehrt zurück zu Borussia, am Ende der Saison 1994/95 stehen der DFB-Pokal-Sieg und Platz 5 - erstmals seit 1984 und bis heute zum letzten Mal steht Borussia vor den Bayern. Im Oktober 1995 gelingt gar Unglaubliches: der erste Auswärtssieg beim FCB. Borussia übernimmt sich allerdings in den Jahren danach, Stars wie Effenberg, Dahlin, Andersson oder Pflipsen sind irgendwann kaum zu finanzieren. Während der Kader der Bayern immer wieder zum richtigen Zeitpunkt eine Frischzellenkur erfährt, ist Borussias Mannschaft irgendwann zu teuer und über dem Zenit. Als Effenberg, im Sommer 1998 zum zweiten Mal zu den Bayern gewechselt, zum Gastspiel beim abgeschlagenen Tabellenletzten auf dem Bökelberg aufläuft, gesteht er angesichts des nicht zu vermeidenden ersten Abstiegs der Borussia: „Das tut mir brutal weh.“

Zwei Jahre verbringt Borussia im Unterhaus, Bayern steht in dieser Zeit zweimal im Champions-League-Finale und gewinnt es 2001 sogar – nie sind beide Klubs weiter voneinander entfernt als beim Aufeinandertreffen am 28. Juli 2001, dem ersten Spieltag nach dem Wiederaufstieg. Unter Trainer Hans Meyer rennen Hausweiler, Demo und Co. die Weltstars in Grund und Boden, am Ende steht ein 1:0-Sieg, fulminant herausgeschossen durch Arie van Lent. Es ist, wie es immer sein kann auf dem Bökelberg, wenn die großen Bayern kommen: Alles ist möglich, das Spiel hat unabhängig der Kräfteverhältnisse seine eigenen Gesetze. Wie im Oktober 2004, dem ersten Duell im neu eröffneten BORUSSIA-PARK. 54.000 Menschen können die Spiele fortan in einem modernen Stadion sehen, das vor allem aus (teureren) Sitzplätzen besteht. Das Stadion ist nicht weniger als die (Über-) Lebensversicherung der mittlerweile wieder entschuldeten Borussia und macht sie konkurrenzfähig. Dass die Bayern nur ein Jahr später „nachziehen“ und zur WM 2006 die Allianz-Arena eröffnen – geschenkt. Denn die sind längst kein Maßstab mehr. Nicht nur aus Sicht der Gladbacher, sondern auch für den Rest der Liga.

Neues Stadion, neue Vereinsführung: Borussia holt auf

Rainer Bonhof bringt es am Rande des Duells im November 2010 (3:3) auf den Punkt: „Die Bayern haben für Mario Gomez 35 Millionen ausgegeben, für Ribéry 27 und für Robben 25. Wir können vielleicht mal einen für 4,5 Millionen holen.“ Aber immerhin: sie können, dank des neuen Stadions und auch dank der neuen Vereinsführung, in der solide gewirtschaftet wird und Bereiche wie Merchandising und Sponsoring neben den immer wichtiger werdenden Fernsehgeldern wachsen. Kurioserweise muss erst ein Mann aus München kommen, der den Borussen nach einigen Transfer-Flops dabei hilft, wieder zu sich selbst zu finden. Max Eberl besinnt sich auf die FohlenPhilosophie, fördert Eigengewächse wie Tony Jantschke, Patrick Herrmann und Marc-André ter Stegen und verpflichtet hoffnungsvolle Talente – wie den 19-jährigen Marco Reus.

Nach den überstandenen Relegationsspielen gegen den VfL Bochum bekommt die Mannschaft unter Trainer Lucien Favre neues Selbstvertrauen, was sich auch in den Spielen gegen den FC Bayern zeigt. In der Saison 2011/12 gewinnt Borussia 1:0 in München und lädt im Rückspiel beim 3:1 auf einen Sprung in die Zeitmaschine ein – eine erfrischend junge Mannschaft kontert die Bayern nach Strich und Faden aus. Borussia etabliert sich fortan in der oberen Tabellenhälfte und schafft meist den Sprung ins internationale Geschäft. Die Bayern haben selbiges zuletzt vor 29 Jahren verpasst und sind in fast jedem Jahr in der Gelddruck-Maschine Champions League vertreten. Ganz nebenbei sind langjährige Großsponsoren mit Anteilen an den Verein gebunden und der Verein FC Bayern eine globale Marke. Der Konkurrent von einst schwebt in anderen Sphären.

Das Verhältnis beider Klubs ist mittlerweile längst von großem gegenseitigem Respekt geprägt. Natürlich gab es vor wenigen Jahren den polternden Hoeneß, der nach einer 0:2-Niederlage im BORUSSIA-PARK erst die Kabine der Gastgeber und später die der Schiedsrichter stürmte. Natürlich gibt es nach wie vor Pfiffe, wenn die Bayern Gladbacher Rasen betreten und Jubel, wenn auf der Anzeigetafel ein Gegentreffer des Rekordmeisters angezeigt wird. Die Gladbacher lieben die Bayern nach wie vor nicht wirklich. Und doch hat man Respekt vor der Unumstößlichkeit der bayrischen Dominanz. Max Eberl stellt neidlos fest: „Den Bayern ist nichts in den Schoß gefallen. Es ist kein Scheich, kein Russe und auch kein Chinese gekommen. Was der FC Bayern sich aufgebaut hat, hat er aus eigener Kraft erschaffen.“ Kein Wunder, dass er Uli Hoeneß nach wie vor als sein Manager-Vorbild bezeichnet.

Es gibt aber auch umgekehrt viel Respekt aus München dafür, wie Borussia im ungleichen Rennen aufgeholt hat. „Ich freue mich, dass Gladbach oben mitspielt“, hat Franz Beckenbauer vor einiger Zeit mal gesagt. „Es ist ein unglaublich sympathischer und gut geführter Verein.“ Dieses Kompliment konkretisiert sich 2016, als die Bayern um Max Eberl buhlen. Dass der dem Rekordmeister widerstehen konnte, hat viele überrascht, ist ein starkes Statement des Sportdirektors zu seinem Verein und kann wie ein Sieg gegen den übermächtigen Gegner gefeiert werden. Auch auf dem grünen Rasen fahren die Fohlen weitere Siege gegen die Bayern ein. Im Dezember 2015 demontieren Wendt, Stindl und Johnson den Spitzenreiter und gewinnen 3:1. Ein Wahnsinnsspiel und eines, das keiner, der live dabei war, jemals vergessen wird. Wie jedes Mal eigentlich, wenn David Goliath ein Bein stellen kann.

So ist es auch beim 3:0-Auswärtssieg der Borussen am 7. Spieltag der Saison 2018/19 als Borussia den Bayern die Oktoberfest-Sause ordentlich vermiest. Die Fohlen fegen regelrecht über die Münchener hinweg und führen schon nach einer guten Viertelstunde mit 2:0. Dabei überzeugt vor allem ein Borusse: Lars Stindl. Überraschend gibt der Kapitän nach auskuriertem Syndesmoseriss ausgerechnet gegen die Bayern nach 162 Tagen sein Comeback, bereitet den ersten Treffer vor und macht den zweiten dann gleich selbst. Ein überraschender Traumstart für den Borussia-Kapitän, der nicht nur Fußball-Romantiker zum Schwärmen bringt. Nach dem furiosen Erfolg gibt es allerdings nicht, wie wohl die allermeisten Borussen gehofft hatten, einen Abstecher zum Oktoberfest. Die Fohlen müssen erstmal zurück nach Mönchengladbach. Da steht am Sonntagmorgen das Auslaufen auf dem Programm. Anschließend aber macht sich eine Delegation des Bayern-Besiegers per Flugzeug nochmal auf den Weg nach München, um sich dort zünftig gekleidet in den Trubel auf der Theresienwiese zu stürzen.

In der darauffolgenden Saison sorgt Ramy Bensebaini für Party-Stimmung gegen die Bayern. Mehr noch. Er lässt den BORUSSIA-PARK beben. Im Dezember 2019 geraten die Borussen kurz nach der Pause durch einen Treffer von Ivan Perisic in Rückstand. Aber nur elf Minuten später schlägt der VfL zurück.  Jonas Hofmanns Ecke fliegt in den Strafraum des FC Bayern und Bensebaini, wischt den Ball mit der Stirn vorbei an Manuel Neuer ins Tor. Es ist das 1:1. Doch es geht noch mehr. In der zweiten Minute der Nachspielzeit steht der Algerier dann am Elfmeterpunkt, läuft an und schießt den Ball mit links in die von ihm aus untere rechte Ecke. Neuer ahnt es, doch zu präzise ist der Ball getreten – 2:1 für Gladbach. Und Schluss.

Bensebaini ist damit der erst elfte Borusse, dem in einem Spiel gegen den FC Bayern zwei Tore gelangen. Im Hinspiel der laufenden Saison kommt Nummer zwölf dazu. In Person von Jonas Hofmann. Im Bundesliga-Topspiel des 15. Spieltags liegen die Fohlen nach 26 Minuten schon 0:2 hinten. Doch Jonas Hofmanns Doppelpack und ein feiner Fernschuss von Florian Neuhaus führen dazu, dass die Fohlen dem FC Bayern zwei ihrer bis dato drei Niederlagen seit Dezember 2019 zugefügt haben.

Berti Vogts hat die Dinge mal auf den Punkt gebracht: „Man kann mit dem FC Bayern nicht auf Augenhöhe sein. Sportlich vielleicht, aber nie wirtschaftlich.“ Es ist seit dem Ende der Siebzigerjahre immer ein ungleiches Duell, wenn Borussia auf die Bayern trifft. Aber eines, das in 105 Bundesligaspielen nie seinen Reiz verloren hat.

Dieser Text ist erstmals im „FohlenEcho – Das Magazin“, Ausgabe 43, erschienen. Wenn ihr das FohlenEcho-Mitgliedermagazin auch regelmäßig in eurem Briefkasten haben wollt, dann macht euch Borussia unter mitglied.borussia.de!

Sportlergrüße vor dem ersten Bundesligaduell. Franz Beckenbauer und Heinz Lowin tauschen Wimpel. Foto: Imago Images
Bayerns Katsche Schwarzenbeck grätscht letztlich vergebens: Denn Herbert Laumen und Co. gewinnen 1969 erstmals gegen die Bayern. Foto: Imago Images.
Günter Netzer und Franz Beckenbauer – zwei Jahrhundert-Fußballer, die den Fußball beider Klubs in den Siebzigern personifizieren. Foto: Imago Images.
Torjäger unter sich: Jupp Heynckes und Gerd Müller, der „Bomber der Nation“. Foto: Imago Images.
Meister, ausgerechnet in München: VfL-Coach Udo Lattek lässt sich 1977 feiern. Foto: Horstmüller.
Kalle del´Hayes Wechsel zu den Bayern ist der Beginn der „Eiszeit“ zwischen beiden Klubs. Foto: Imago Images.
Lothar Matthäus begrüßt Rummenigge und Co. auf dem Bökelberg. Foto: Imago Images.
Uwe Kamps steckt sich vergeblich: Das Olympiastadion ist für Borussia meist ein Ort der Niederlage. Fotos: Imago Images.
Klaus Augenthaler und Hans-Günter Bruns beim Handshake im September 1986. Foto: Imago Images.
Ein Tag zum Einrahmen: Borussia gewinnt am 14. Oktober 1995 erstmals (!) beim FC Bayern. Foto: Horstmüller.
Nie waren die Unterschiede größer als im August 2001: Doch die Aufsteiger um Torschütze Arie van Lent besiegen den Champions League-Sieger. Foto: Imago Images.
Und wieder ein neues Stadion: Borussia spielt im August 2005 erstmals in der Allianz-Arena. Foto: Imago Images.
„Schweini“ staunt, Reus jubelt: Borussias Sieg im Januar 2012 ist wie ein Sprung in die Zeitmaschine. Foto: Kruck.
Boateng liegt, Johnson triumphiert: Borussias letzter Sieg gegen die Bayern im Dezember 2015. Foto: Borussia.
Längst ist das Verhältnis beider Vereine auf Führungsebene respektvoll und kollegial.
Am 7. Spieltag der Saison 2018/19 gibt Lars Stindl überraschend sein Comeback und bereitet beim 3:0 in München den ersten Treffer vor und macht den zweiten dann gleich selbst.
Im Dezember 2019 dreht Ramy Bensebaini das Heimspiel gegen den FCB dank eines Doppelpacks und bringt den BORUSSIA-PARK zum Beben.
Jonas Hofmann führt die Fohlen im Hinspiel nach einer furiosen Aufholjagd zum 3:2-Heimsieg.

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