1971: Ein Herzschlagfinale um Borussias zweite Meisterschaft

Heute vor 50 Jahren: Am 5. Juni 1971 verteidigt Borussia als erste Mannschaft in der Bundesliga den Meistertitel des Vorjahres. Die Entscheidung um die Schale zwischen dem VfL und Bayern München ist ein Herzschlagfinale am 34. Spieltag.

Die Saison 1970/71 bot ein Finale, das die Fußballfans an die Zeiten vor der Bundesliga erinnerte. Die Zeiten vor 1963, als der deutsche Ligafußball noch keine eingleisige oberste Spielklasse hatte und es am Ende einer Saison ein echtes Endspiel um die Deutsche Fußball-Meisterschaft gab. Erst der 34. Spieltag der Saison würde die Entscheidung bringen, es stand wieder mal ein Finale ganz am Ende eines Fußballjahres an. Allerdings ein Finale auf Distanz. Denn der Tabellenführer FC Bayern München und der Tabellenzweite Borussia Mönchengladbach spielten nicht direkt gegeneinander, sondern nur mittelbar. Die Bayern beim MSV Duisburg, die Borussen bei Eintracht Frankfurt. Wie die Entscheidung an diesem Samstag, 5. Juni 1971 schließlich fällt, haben die Tageszeitungen damals minutiös notiert und auch Peter Bizer in seiner 1971 erschienenen Netzer-Biographie „Rebell am Ball“. In den folgenden Passagen zitieren wir aus der Berichterstattung dieser Quellen:

13:30 Uhr: Zwei Stunden vor dem großen Spiel unterschreibt Borussias Geschäftsführer Helmut Grashoff an der Rezeption des Frankfurter Airport-Hotels einen Scheck über die Summe von 4.220,30 Mark. Die Spieler haben ihre Zimmer geräumt. Zweckpessimismus macht die Runde. Berti Vogts sagt in der Hotelhalle: „Wir kommen nicht mehr zurück, da gehe ich jede Wette ein." Im Hotel soll die Meisterfeier arrangiert werden.

14 Uhr: 40.000 Menschen hocken schon auf den Rängen im Waldstadion. Die Gladbacher Spieler klettern aus dem Bus, zwängen sich durch die Menschen hindurch in das Tribünengebäude.

15:25 Uhr: Ein gellendes Pfeifkonzert empfängt in Duisburg die Bayern, als sie erstmals den Rasen betreten. Das Stadion ist besetzt bis auf den letzten Platz. Hass von allen Seiten. Es ist klar: Man will im Westen Gladbach als Meister haben.

15:31 Uhr: Anstoß. Franz Roth startet einen prächtigen, vielversprechenden Alleingang. In vollem Tempo eilt er mit dem Ball in Richtung Duisburger Tor. Heidemann stellt sich ihm in den Weg. Roth wird in die Luft gewirbelt und schlägt krachend auf die Erde. Er bleibt besinnungslos liegen. Schiedsrichter Horst Herden aus Hamburg verwarnt Heidemann nicht. Die Bayern sind schon nach sechzig Sekunden schockiert.

15:35 Uhr: Die Duisburger führen sich wie wild auf. Niemand vermag sie aufzuhalten. Immer wieder überrennen sie die die Abwehr der Bayern. Ein Schuss von Dorde Pavlic streift die Querlatte. Das Volk auf den Rängen tobt.

15:42 Uhr: Bayern-Verteidiger Herward Koppenhöfer stellt Michael Bella im Strafraum ein Bein. Elfmeter für Duisburg. Heidemann läuft an. Der Schuss geht links am Tor vorbei.

16 Uhr: Peter Dietrich wankt vom Platz. Er ist mit dem Frankfurter Horst Heese zusammengeprallt. Gehirnerschütterung, vermutet Mannschaftsarzt Dr. Alfred Gerhards. Rainer Bonhof nimmt Dietrichs Platz ein. In der ersten halben Stunde bestimmen die Frankfurter das Bild. Die Angst vor dem Abstieg schweißt das Team zusammen.

16:13 Uhr: Netzer schießt das 1:0. Jubelnd reißt er die Arme in die Höhe. In Frankfurt hört der gesperrte Gerd Müller es auf der Trainerbank im Transistorradio. Enttäuscht schlägt er die Hände vor dem Gesicht zusammen.

16:15 Uhr: Bernd Nickel ist für die Frankfurter Gold wert. Kurz vor der Halbzeitpause erzielt er mit einem Freistoß das 1:1. Die Hoffnungen der Gladbacher erhalten einen Dämpfer. Die Bayern hören es auf dem Weg in die Kabine

16:20 Uhr: In der Kabine der Borussia wird wenig gesprochen. Der Trainer gibt lediglich ein paar Anweisungen. Und dann sagt er: „Männer, wir gewinnen noch 3:1." Keiner setzt zum Widerspruch an. Stunden später wird Hennes Weisweiler gestehen: „Ich habe selbst nicht an meine Prognose geglaubt, aber ich musste schließlich ja etwas sagen."

16:34 Uhr: Berti Vogts duelliert sich verbissen mit seinem Gegenüber Jürgen Grabowski, findet darüber hinaus noch Gelegenheit, energisch nach vorne zu stürmen. Sein Tatendrang reißt die anderen mit. Allmählich beginnt der Meister seine Regierungszeit.

16:35 Uhr: Die Bayern marschieren und hetzen einen in der Abwehr nachlassenden MSV, der sich in eine Serie von Ecken retten muss. Doch mitten in die Münchner Überlegenheit hinein ist Rainer Budde in Tornähe, schießt, und Bayern liegt 0:1 zurück. Hunderte Fans stürzen auf den Platz, umarmen den Schützen. Die Reaktion in Frankfurt? Ein plötzlicher Aufschrei in der Ostkurve des Stadions. Schwarz-weiße Fahnen werden geschwenkt, auf der Gladbacher Bank springen die Reservespieler auf. Über die Ätherwellen ist die Nachricht vom ersten Duisburger Tor gekommen.

16:49 Uhr: Die Bayern sind für einen Augenblick unaufmerksam. In dieser Sekunde fällt das 2:0 durch Budde: Das scheint das Ende der Meisterschaftshoffnung zu sein. Das Stadion gleicht einem Tollhaus.

16:57 Uhr: Beflügelt vom zweiten Aufschrei der Radiohörer auf den Rängen gelingt eine bestechende Kombination von Vogts zu Horst Köppel. Der Stuttgarter, der an diesem Tag zum letzten Male in Diensten von Mönchengladbach steht, vollendet zum 2:1. Nun zeigt sich vollends der wahre Meister, während den Frankfurtern der Atem immer kürzer wird.

17:03 Uhr: Die Prognose von Hennes Weisweiler bewahrheitet sich. Jupp Heynckes erhöht die Quote auf 3:1. Nun hat Günter Netzer das Kommando endlich an sich gerissen. Er treibt an, jedes Tor kann von Bedeutung sein.

17:06 Uhr: In Frankfurt führt Borussia 4:1. Wieder Jupp Heynckes, der Mann, der in Gladbach in die Fußballschule ging, dann ein Gastspiel bei Hannover 96 gab und vor einem Jahr wieder zurückkehrte.

17:15 Uhr:  Das Spiel ist aus. Die Bayern sinken zu Boden, total erschöpft. Präsident Wilhelm Neudecker formuliert das Glückwunsch-Telegramm an den alten und neuen Deutschen Meister Borussia Mönchengladbach.

17:17 Uhr: Schiedsrichter Regely blickt in Frankfurt auf seine Uhr und bläst dreimal kräftig in seine Pfeife. 65.000 Menschen springen auf, das weite Rund hat ungeteilten Grund zum Jubel. Mönchengladbach ist wieder Deutscher Meister, die Frankfurter bleiben in der Bundesliga. Ein Spiel, zwei Sieger.

17:30 Uhr: Dem Vater des Sieges kullern die Tränen über die Wangen. Hennes Weisweiler gratuliert jedem seiner Mannen, am längsten dauert die Umarmung mit Berti Vogts. Der DFB-Präsident Dr. Hermann Gößmann kommt in die Kabine, um seine Gratulation an den Mann zu bringen.

18:15 Uhr: Nach der explosiven Dramatik der Schlussphase dieses letzten Spieltags kehren die Gladbacher mit umso größerer Genugtuung mit ihrem Bus durch die ihn zujubelnden Menschen auf den Straßen ins Airport-Hotel zurück. Wie sich herausstellt, hat Helmut Grashoff für den Fall der Fälle doch heimlich vorgesorgt und die Zimmer auch für die Nacht von Samstag auf Sonntag geblockt.

19 Uhr: Im Airport-Hotel sind inzwischen schon fast 100 Glückwunsch-Telegramme für den neuen Deutschen Meister eingegangen. Auch Anrufer kommen durch und lassen sich von der Telefonzentrale mit Spielern verbinden, um zu gratulieren. Dass Günter Netzer und Co. irgendwann abwinken und nicht mehr zu sprechen sind, ist verständlich.

20 Uhr: Allmählich kehrt etwas Ruhe ein, das eher internationale Publikum des Airport-Hotels erkennt zwar die Borussen an ihrer einheitlichen Kleidung, begnügt sich aber damit, per Kopfnicken zu gratulieren. Die echten Fans, die zum Hotel gekommen sind, tummeln sich draußen rund um den Mannschaftbus und hoffen, einen Blick auf ihre Helden erhaschen zu können.

21:55 Uhr: Auch das ZDF ist ein Sieger dieses Tages, wird für seine Planung belohnt, sein Sportstudio live aus dem Airport-Hotel zu übertragen. Empfangshalle und Salon sind in ein Fernsehstudio verwandelt worden. Einiges ist improvisiert, und alle nehmen es mit Humor, als die Übergabe der Meisterschale durch DFB-Präsident Gößmann an Günter Netzer dreimal wiederholt werden muss. Dann ist sie endlich im Kasten.

23:30 Uhr: Das Sportstudio ist gelaufen, der offizielle Teil des Abends ist vorbei. Frei von Zwängen funktionieren Spieler, Trainer und Anhang jetzt die Hotelhalle zur Tanzfläche um. Und auch Sauna und Schwimmbad des Hotels werden zu später Stunde noch aufgesucht, um die Anstrengungen eines langen Tages hinter sich zu lassen. Der nächste Tag, das ahnen die Borussen, wird vielleicht noch anstrengender werden. Ganz Mönchengladbach freut sich auf die Meisterfeier.       

Dieser Text ist ein Auszug aus einem ausführlichen Bericht über die Tage rund um das Meisterschaftsfinale 1971, der im „FohlenEcho – Das Magazin“, Ausgabe 71, erschienen ist. Ihr wollt auch Borussias Mitgliedermagazin erhalten? Dann macht euch Borussia.

Handschlag zwischen Jürgen Grabowski und Günter Netzer. Schiedsrichter Regely ist bereit zum Münzwurf. Foto: imago images/Werek
Peter Dietrich muss neben dem Platz von Heinz Wittmann gestützt werden. Foto: Horstmüller
Jupp Heynckes trifft hier zum 3:1 und lässt später das 4:1 folgen. Foto: Horstmüller
Trainer Hennes Weisweiler zeigt seinen Spielern: „2:0 für Duisburg.“ Foto: Horstmüller
In der Kabine feiern die Borussen glückselig den Titelgewinn. Foto: Horstmüller
Die Borussen feiern im Frankfurter Airport-Hotel mit den Spielerfrauen die Meisterschaft. Foto: Horstmüller

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