Wenn Teamgeist Berge versetzt

Am 26. Juli 1981 wird eine B-Jugend Borussias erstmals und bis heute zum einzigen Mal Deutscher Meister. Ein Ereignis, an das Schorsch Dreßen und Co. auch 40 Jahre später gerne zurückdenken.

Das dreifache Hip-Hip-Hurra war an diesem Sonntag schon dutzendfach auf den neuen Deutschen B-Jugendmeister Borussia Mönchengladbach ausgerufen worden, als sich Dr. Helmut Beyer von seinem Stuhl erhob und zu einer kleinen Rede ansetzte. „Ein Sonderlob für die Mannschaft“, sagte Borussias Vereinspräsident im Festsaal der Vereinsgaststätte Alt-Eicken. „Sie hat sich total verausgabt und fehlende spielerische Klasse durch ungeheuren Eifer wettgemacht.“ 1:0 hatte das von Wilfried Schmitz trainierte Team vormittags im Rheydter Grenzlandstadion gegen den großen Favoriten Eintracht Frankfurt gewonnen und konnte sich nun zurücklehnen: Erstmals war eine Jugendmannschaft Borussias Deutscher Meister geworden.

Günter Hirnstein: „Am Ende waren mehr als 12.000 da“

40 Jahre später sitzt Günter Hirnstein an der Kaffeetafel in seinem Haus in Rheindahlen und schwelgt in Erinnerungen. Zwischen 1968 und 1993 war er Jugendobmann Borussias, hat in dieser Zeit etliche Niederrhein-Pokalsiege und Westdeutsche Meisterschaften feiern dürfen und Spieler wie Jörg Albertz und Kalle Pflipsen mit an den Bökelberg gelotst. Den größten sportlichen Erfolg aber konnte er nicht wirklich auskosten: Denn als Kopf des Organisationsteams hatte er an jenem 26. Juli 1981 alle Hände voll zu tun. „Polizei und Ordnungsamt haben mit rund 3.000 Zuschauern gerechnet, es waren nur zwei Eingänge geöffnet. Die Leute haben die Maschendrahtzäune aufgeschnitten, um reinzukommen, am Ende waren mehr als 12.000 Zuschauer da.“ Hirnstein blättert in seinen dicken Aktenordnern voller Zeitungsartikeln und Fotos, allesamt sorgfältig in Klarsichthüllen untergebracht. Auf einem Foto sieht man ein rundum volles Grenzlandstadion, selbst auf der Laufbahn sitzen Kinder bis an den Spielfeldrand heran. „Ich war damals für die Ehrengäste zuständig und stand daher noch während des Spiels draußen auf dem Parkplatz, um die Nachzügler zu empfangen.“

Dass Borussias B-Jugend in der Saison 1980/81 einen guten Jahrgang hat, merken die Verantwortlichen um den kürzlich verstorbenen und damaligen Jugend-Cheftrainer Gerd Schommen im Laufe der Saison. Guido Kopp und Markus Krahen sind talentierte Stürmer, Uwe Kühn, Stefan Naumann und Robert Dohrmann gute Leute im Mittelfeld und Johannes Nelles ein guter Verteidiger. Der herausragende Mann ist aber der Abwehrchef: Hans-Georg Dreßen ist ein zweikampfstarker, aber auch umsichtiger und ruhiger Defensivmann und sicher nicht umsonst auch Kapitän der Junioren-Nationalmannschaft. Bei aller fußballerischer Qualität bezieht die Mannschaft ihre Stärke aber vor allem aus ihrem Zusammenhalt. Schon der 3:1-Sieg gegen die technisch besseren Duisburger im Niederrhein-Pokalfinale, gewissermaßen der Türöffner zur Deutschen B-Junioren-Meisterschaft, zeigt den enormen Willen des Teams. Denn damals qualifizierte sich der jeweilige Verbandspokalsieger für die Endrunde um die nationale Meisterschaft.

Uwe Kühn: „Waren bereit, die entscheidende Meile mehr zu laufen“

„Wir hatten eine Mannschaft, die jederzeit dazu bereit war, die eine entscheidende Meile mehr zu laufen“, sagt Uwe Kühn, früher Mittelfeldspieler, heute Geschäftsführer beim System-Hydraulik-Hersteller Ruhfus in Neuss. Der 56-Jährige hat einen vollen Terminkalender und nimmt sich zwischen zwei Besprechungen trotzdem gerne Zeit, um über den Höhepunkt seiner fußballerischen Laufbahn zu sprechen. „Wir hatten einen exzellenten Zusammenhalt, und ich glaube, dass das unser Trainer Wilfried Schmitz vorgelebt hat. Er war die gute Seele der Mannschaft. Immer positiv, konnte keiner Fliege was zuleide tun und stand immer auf der Seite seiner Jungs.“ Besonders gern denkt Kühn an die Achtelfinalspiele zurück, die beinahe Endstation gewesen wären: „Wer gewinnt, kommt auch ins Endspiel“, hatte VfL-Coach Schmitz vor dem Hinspiel gegen den 1. FC Köln gesagt. Nach einem ziemlich deprimierenden 1:3 auf dem Bökelberg musste er aber erst einmal die Tränen seiner Spieler trocknen. „Die Kölner haben super gespielt und hoch verdient gewonnen“, erinnert sich Kühn an das Duell gegen das mit späteren Bundesligaspielern wie Anthony Baffoe oder Andreas Gielchen gespickte und von Christoph Daum trainierte Team.

Im Rückspiel aber führt Borussia im Franz-Kremer-Stadion lange Zeit durch Guido Kopp 1:0. Und da der glänzende Abwehr-Organisator Dreßen in der letzten Minute das 2:0 erzielt, kommt es zum Elfmeterschießen. Torwart Frank Zimmermann kann beim Stand von 7:6 den entscheidenden Strafstoß abwehren – Borussia steht dank eines echten Kraftaktes im Viertelfinale und hat sich nun dank einer „Leistungsexplosion“ (Rheinische Post) bereits zum zweiten Mal durch aufopferungsvollen Kampf gegen eine fußballerisch stärkere Mannschaft durchgesetzt.

Gegen den TSV Osterholz-Tenever setzt sich der VfL im Viertelfinale mit weniger Drama durch (2:1, 3:1), ehe es im Halbfinale gegen den VfL Bochum wieder spannend wird: nach einem Auswärts-3:3 besiegt die Mannschaft den Revierklub daheim mit 2:1 und zieht ins Endspiel ein. Das erste Tor ist eine verunglückte Flanke von Kopp, die ins Tor segelt, beim zweiten Treffer legt Kühn für den pfeilschnellen Außenstürmer Markus Krahen auf.

Markus Krahen: „Waren die besten Spieler aus der näheren Umgebung“

„Wir hatten damals eine gute Mannschaft, klar“, sagt Krahen, der heute in Luxemburg lebt, am Telefon. „Aber wir hätten nie gedacht, dass wir Meister werden können. Es wurde damals kein professionelles Scouting betrieben, wir waren einfach eine Mannschaft mit den besten Spielern aus der näheren Umgebung.“ Er selbst war vorher vom kleinen Polizei-Sportverein zu Borussia gewechselt, Dreßen von SV Mannesmann-Meer, Uwe Kühn von Tus Hackenbroich, Thomas Völl und Johannes Nelles vom Heinsberger Dorfklub Grün-Weiß Karken. Krahen gehört zu den wenigen Spielern, die nach der Jugend den Sprung zu den Profis  geschafft haben. Mit einem Kontrakt als Vertragsspieler ausgestattet, steht er in der Saison 1987/88 auf dem Mannschaftsfoto der Profis. Zum Einsatz kommt er allerdings nicht, weswegen er ein Angebot des luxemburgischen Erstligisten Avenir Beggen annimmt. Dort arbeitet er tagsüber bei einer Bank, trainiert abends und geht an den Wochenenden auf Torejagd: 148 Tore schießt er in elf Jahren, wird dreimal Torschützenkönig, zweimal Pokalsieger und spielt sogar im Europapokal gegen Istanbul und Moskau. „Rückblickend betrachtet habe ich alles richtig gemacht“, sagt er heute. Der Borussia ist er als Fan verbunden, fährt gern mit seinem Sohn in den BORUSSIA-PARK und erzählt von damals – auch wenn er an das Endspiel 1981 nur noch ganz vage Erinnerungen hat. 

Dabei ist dieser 26. Juli wahrhaft ein Tag zum Einrahmen. Am Vorabend hatte es ein gemeinsames Abendessen im Alt-Eicken gegeben. Bei Rumpsteak mit Pommes und Orangensaft konnte man schon mal einen prüfenden Blick werfen auf den großen Favoriten, der den Titel in den zurückliegenden vier Jahren zweimal gewonnen hat. Klepper, Rieth, Huppert und Kloss, natürlich vor allem Thomas Berthold – die Frankfurter strotzen vor fußballerischer Klasse und Selbstvertrauen. Um kurz vor 11:00 Uhr morgens wird es nach einer Einlage des Fanfarenkorps beim Wimpeltausch zwischen Dreßen und Frankfurts Torwart Jörn Hollenbach im proppenvollen Stadion ernst.

Die Borussen haben großen Respekt, Dreßen etwa wird sich in seiner Libero-Rolle ausschließlich auf die Defensive konzentrieren – ein Frankfurter Schuss an die Torlatte nach fünf Minuten ist Warnung genug. Borussia verlegt sich aufs Kontern, die schnellen Offensivspieler hechten den langen Bällen hinterer, jedoch sind Kopp, Krahen und Co. anfangs zu ballverliebt. Insgesamt ist es zunächst ein nervöses und verkrampft geführtes Spiel, man merkt, das einiges auf dem Spiel steht. Nach einer Viertelstunde schickt Kopp den quirligen Thomas Völl steil, und als der sich den Ball ein wenig weit vorlegt und Hollenbach sich ihm entgegenwirft, pfeift FIFA-Schiedsrichter Volker Roth zur Überraschung der Gladbacher und zum Entsetzen der Frankfurter Elfmeter. Dass es sich hier möglicherweise um eine Fehlentscheidung handelt, ist Stefan Naumann egal: Er bleibt cool und drischt den Ball flach links ins Tor.

Schorsch Dreßen: „Eine total geile Zeit“

Die Frankfurter wirken mit zunehmender Dauer erst ge- und schließlich entnervt, den Borussen reicht eine konsequente und konzentrierte Leistung. Naumann etwa kümmert sich hervorragend um Berthold, neben Dreßen überzeugen auch die beiden Manndecker Johannes Nelles und Helmut Thommessen. Frankfurt probiert es erfolglos mit der Brechstange, für Borussia vergeben der starke Dohrmann, Naumann und Kühn gute Konterchancen. Am Ende geht ein Dreßen-Freistoß noch knapp am Tor vorbei, dann ist endgültig Schluss.

Und während die Frankfurter noch mit der Elfmeter-Situation hadern, lassen sich die Borussen zurecht auf einer Ehrenrunde feiern. Wieder einmal haben sie eine auf dem Papier bessere Mannschaft niedergerungen. Und der bescheidene Coach Wilfried Schmitz, der sein Team einmal mehr taktisch und mental herausragend eingestellt hatte, gibt das Lob weiter an seine Jungs: „Ich habe Glück mit dieser Elf. Denn sie ist eine ideale Mischung aus konsequenten Abwehrspielern, hart und zweikampfstark, und Rennern und Technikern. Der ungeheure Siegeswille, die taktische Disziplin und der Kampf bis zur totalen Erschöpfung machten diesen tollen Erfolg möglich.“

Für die meisten bleibt der Traum vom Profi-Fußball ein Traum. Der vor zwei Jahren verstorbene Guido Kopp kam immerhin zweimal in der Bundesliga zum Einsatz. Krahen hat sein Glück in Luxemburg gefunden, Johannes Nelles in der Zweiten Liga für Alemannia Aachen gespielt. Uwe Kühn, der den ganz großen Sprung trotz Amateur-Fördervertrag nicht geschafft hat, war erst als Spieler und dann als Trainer in Dormagen tätig. Schorsch Dreßen, der schon als 16-Jähriger Angebote des FC Bayern hatte, hat es zu den Profis geschafft. Und auch, wenn er 162-mal als Spieler für Borussia zum Einsatz kommt und später als Co-Trainer von Bernd Krauss unter anderem den DFB-Pokal holt, ist der 1981er-Titel für ihn nach wie vor etwas ganz Besonderes. „Das war einfach eine total geile Zeit“, sagt Dreßen. „Sportliche Erfolge sind doch dann am schönsten, wenn keiner mit einem rechnet. Wir waren vielleicht nicht die besten Fußballer, aber wir waren eine tolle Truppe und konnten durch unseren Teamgeist Berge versetzen. Da haben wir viel unserem leider viel zu früh verstorbenen Trainer zu verdanken. Wilfried Schmitz war einer der besten Trainer, die ich je hatte. Er hat uns machen lassen und uns Leine gegeben. Aber er konnte uns mit einem Lächeln und seiner lockeren Art genau dahin bringen, wo er uns haben wollte.“ 

Der Erfolg der Truppe von 1981 ist im wahrsten Sinne des Wortes einmalig; denn bis heute konnte keine andere Borussia-Jugendmannschaft eine Deutsche Meisterschaft erreichen. Uwe Kühn: „Ich würde mich total freuen, wenn es nach der Corona-Zeit ein Wiedersehen unserer Meistermannschaft geben würde.“

Dieser Text ist erstmals im „FohlenEcho – Das Magazin“, Ausgabe 71, erschienen. Wenn ihr das FohlenEcho-Mitgliedermagazin auch regelmäßig in eurem Briefkasten haben wollt, dann macht euch Borussia unter mitglied.borussia.de!
 

Foto oben: The winner takes it all: Schorsch Dreßen überglücklich im vollen Grenzlandstadion.
Foto: Horstmüller

Strahlende Sieger, obere Reihe von links nach rechts: Jugend-Cheftrainer Gerd Schommen, Thomas Völl, Betreuer Dieter Lambertz, Uwe Kühn, Markus Krahen, Helmut Thommessen, Reiner Arians, Stefan Naumann, Ralf Flocken, Markus Trümper, Co-Trainer Rudi Krätschmer, Jugendleiter Günter Hirnstein. Unten: Trainer Wilfried Schmitz, Robert Dohrmann, Guido Kopp, Hans-Georg Dreßen, Frank Zimmermann, Johannes Nelles, Peter Meusen, Wolfgang Sawatzki, Masseur Günter Hartjes. Foto: Horstmüller
Hart und präzise: Stefan Naumann verwandelt den Elfmeter zum 1:0. Foto: Horstmüller
Robert Dohrmann und Co. kämpfen im Finale abermals eine fußballerisch bessere Mannschaft nieder. Foto: Horstmüller

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