Eberl: „Ein turbulentes und surreales Jahr“

Im großen Abschluss-Interview blickt Max Eberl auf das Jahr zurück. Borussias Sportdirektor spricht über das sportliche Auf und Ab, den Trainerwechsel, die coronabedingten Einschränkungen, die aktuell schwierige Phase und äußert zum Ende seine Wünsche für das neue Jahr.

Max, wie würdest Du das zurückliegende Jahr in einem Wort zusammenfassen?

Eberl: Turbulent wäre eines der Adjektive, das gut passen würde. Aber es gibt so viele, dass es unmöglich ist, das Jahr in einem Wort zusammenzufassen. Aber wenn ich es Revue passieren lasse, kann ich auf jeden Fall feststellen, dass ich froh bin, wenn bald Silvester ist und 2021 dann endlich vorbei ist.

Das Jahr ging ja mit den Siegen in Bielefeld und gegen die Bayern eigentlich gut los…

Eberl: Das stimmt, die schönsten beiden Wochen waren gleich zu Beginn. Ich habe damals meine Auszeit in den Bergen genossen, die mir Borussia gewährt hat. Diese hat mit viel Kraft und neue Energie gegeben. Leider gab es dann den Fehltritt von Breel Embolo. Deswegen habe ich meine Auszeit nach rund zweieinhalb Wochen abgebrochen, weil ich diese Sache unbedingt vor Ort klären wollte. Der Aufprall in der Realität war also sehr hart und schnell.

Und auch sportlich lief es in der Folge bei Borussia nicht mehr rund. Kurz darauf ging das Derby gegen Köln mit 1:2 verloren und es folgten fünf sieglose Spiele in Folge…

Eberl: Das Ganze war damals auch ein wenig der Thematik um Marco Rose geschuldet. Es wurde viel diskutiert, ob er bleibt oder nicht. Durch die Derby-Niederlage ist sehr viel Emotionalität aufgekommen. Zum einen, weil wir das Spiel verloren haben und zum anderen, weil Marco Rose sechs Änderungen in der Startelf vorgenommen hatte und dadurch der Vorwurf aufkam, dass er die Derbys nicht verstanden habe. Vor dem Wolfsburg-Spiel hat mir Marco dann mitgeteilt, dass er uns im Sommer verlassen wird. Wir haben es dann am Tag danach sofort öffentlich gemacht, wofür wir stark kritisiert wurden. Aber das war für mich damals alternativlos, denn ich wollte die Menschen nicht wochenlang belügen. Die Entscheidung hat uns nicht gefallen, aber wir wollten sie bekanntgeben, damit Klarheit herrscht. Danach kam dann eine extrem schwierige Zeit…

Sprichst Du damit auch die coronabedingten Einschränkungen an?

Eberl: Das habe ich damit eigentlich in diesem Zusammenhang gar nicht gemeint. Aber ja, ich kann mir gut vorstellen, dass unsere Fans es geschafft hätten, Marco Rose zum Bleiben zu bewegen. Er hat den Klub anderthalb Jahre komplett kennengelernt, aber diese Kraft, die der volle BORUSSIA-PARK hätte ausstrahlen können, hätten diesen emotionalen Menschen vielleicht überzeugt. Wir hätten manche Spiele definitiv nicht verloren, wenn wir die Fans im Rücken gehabt hätten, da bin ich mir ganz sicher. Diese Unterstützung ist für diesen Verein und diese Mannschaft so wichtig, dass ich auch davon überzeugt bin, dass wir in der vergangenen Saison mit vollen Rängen die Qualifikation für Europa geschafft hätten. Leider war es nicht so, und wir sind am Ende auf Platz acht gelandet.

In der Champions League gab es zwischenzeitlich das Aus im Achtelfinale gegen Manchester City…

Eberl: Borussia hatte zum ersten Mal seit 1976 die K.O.-Runde eines Landesmeister-Wettbewerbs bzw. der Champions League erreicht. Leider fielen die Achtelfinalspiele gegen Manchester City genau in die Phase, in der wir ohnehin schon sportlich ins Straucheln geraten waren. Wir sind ausgeschieden, aber die Anerkennung dieses sportlichen Erfolgs fiel damals der gesamten negativen Wahrnehmung zum Opfer. Das hat uns wehgetan und auch beeinträchtigt.

Wie hast Du das letzte Bundesligaspiel der vergangenen Saison in Bremen empfunden?

Eberl: Wir hatten durch das 1:2 gegen Stuttgart am vorletzten Spieltag aus der Hand gegeben, die Teilnahme am Europapokal aus eigener Kraft klarzumachen. Wir haben zwar mit dem Sieg in Bremen die eigenen Hausaufgaben erledigt, es hat aber nicht gereicht, weil Union Berlin in der Nachspielzeit noch gewonnen hat und uns damit aus der Conference League verdrängt hat. Zudem ist auf der anderen Seite Werder Bremen an diesem Tag abgestiegen. So einen surrealen Moment in einem leeren Fußballstadion habe ich noch nie in meiner Karriere erlebt. Für mich war das die größte Enttäuschung in meiner Tätigkeit als Sportdirektor bei Borussia. Ich hatte alles dafür getan, dass wir wieder Europa erreichen, aber meine Entscheidungen, die ich voller Überzeugung getätigt habe, haben uns leider nicht dorthin geführt. All die Kritik, die dann auf uns eingeprasselt ist, musste ich akzeptieren.

Im Sommer hat Borussia den Kader zusammenhalten können, trotz einer finanziell schwierigen Zeit. Das war ja auch nicht unbedingt selbstverständlich, oder?

Eberl: Das ist definitiv nicht selbstverständlich. Wobei wir in dieser Phase durchaus Transfers offen gegenübergestanden haben. Man versucht ja, eine neue Mischung und andere Chemie in einen Kader zu bringen, damit neue Reibungspunkte und Konkurrenzsituationen entstehen. Unser Kader ist jetzt seit fast drei Jahren weitgehend in der Konstellation zusammen, es sind alles gute Typen und Spieler. Trotzdem wollten wir im Sommer eigentlich personell etwas ändern. Aber es hat eben nicht funktioniert. Wir waren und sind trotzdem von dem Kader überzeugt.

Wie hat der coronabedingt „neue“ Transfermarkt Deine Arbeit beeinflusst?

Eberl: Obwohl wir am Ende fast keine Transfers gemacht haben, war es dennoch eine der anstrengendsten Transferperioden meiner Amtszeit. Durch Corona hat sich der Markt komplett verändert. Es ist sehr kompliziert geworden, damit muss man sich arrangieren. Am Ende mussten wir etwas kleinere Brötchen backen und haben in Joe Scally, der ja schon im Winter gekommen war, sowie Luca Netz und Manu Koné „nur“ drei Jüngere dazu geholt. Alle drei haben neue Impulse gesetzt und sich ihre Einsätze verdient. Im Nachhinein haben sie sich als Gewinner der Hinrunde herausgestellt.

Zum Auftakt in die neue Bundesliga-Saison gab es ein 1:1 gegen die Bayern…

Eberl: Gegen die Bayern haben wir eine gute Leistung gezeigt und hätten es, wenn eine der beiden Elfmetersituationen gepfiffen worden wäre, auch für uns entscheiden können. Vielleicht haben wir durch dieses gute Spiel aber auch schon eine übertriebene Erwartungshaltung geweckt, der wir dann in den beiden kommenden Begegnungen in Leverkusen und bei Union leider nicht gerecht worden sind. Gerade das Spiel in Leverkusen war ein echter Rückschlag, weil es gezeigt hat, dass wir noch nicht so weit sind, wie viele zu diesem Zeitpunkt schon gedacht hätten. Bei Union tun wir uns traditionell schwer. Als wir auch dort verloren haben, war der Saisonstart natürlich misslungen.

In den Wochen darauf gab es dann ein Auf und Ab mit einigen Siegen, aber ebensolchen Niederlagen….

Eberl: Es ging sehr kurvenreich weiter, aber das war für mich gar nicht so überraschend, weil wir – bedingt durch viele verschiedene Faktoren – in dieser Phase noch nicht so stabil waren. Die Niederlage in Augsburg war sehr ernüchternd. Adi Hütter hat darauf reagiert und teils radikale Entscheidungen getroffen. Er beispielsweise Nationalspieler auf die Bank gesetzt und dafür jungen Spielern eine Chance gegeben. Gegen Dortmund haben wir dann einen kleinen Wendepunkt geschafft. In Summe hatten wir dann eine sehr gute Phase, in der wir recht konstant gepunktet und im Pokal die Bayern geschlagen haben. Man hatte das Gefühl, dass die Ausschläge kleiner werden und wir auf dem richtigen Weg sind.

Und dann kam das bittere 1:4 im Derby…

Eberl: Dieses Spiel ist so ein wenig sinnbildlich für den Verlauf der Hinrunde. Wir haben eine ordentliche erste Hälfte gespielt und nach dem Rückstand eine gute Reaktion gezeigt. Man hat erkannt, dass die Mannschaft will, sich dagegenstemmt. So ist sie total verdient zum Ausgleich gekommen. Alle hatten das Gefühl, dass wir drauf und dran sind, das Spiel zu drehen. Dann kam dieser Doppelschlag, mit dem keiner gerechnet hat. In der Nachspielzeit fiel sogar noch der vierte Gegentreffer. Das hat uns bis ins Mark getroffen. Nach dem Ausgleich waren wir eigentlich dabei, den Kopf richtig nach oben zu strecken, stattdessen ging das Spiel am Ende 1:4 verloren. Was dann in der Woche darauf gefolgt ist, kann man auch wieder nur mit dem Wort surreal beschreiben.

Du sprichst das 0:6 gegen den SC Freiburg an…

Eberl: So etwas habe ich in meinem ganzen Fußballerleben noch nicht erlebt. Das 5:0 wenige Wochen zuvor gegen die Bayern war ein geschichtsträchtiges Fußballfest. Niemand der damals dabei war, wird dieses Spiel je wieder vergessen. Das war im positiven Sinne ebenso surreal wie das 0:6 gegen Freiburg, was es in dieser Form wahrscheinlich auch nie mehr geben wird. Nach rund 35 Minuten mit 0:6 zurückzuliegen, das ist für mich bis heute nicht erklärbar. Aber natürlich macht so ein Ergebnis etwas mit den beteiligten Menschen. Das war keine normale Niederlage, nach der man einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Das war nicht nur eine Schnittwunde an der Haut, sondern eine, die das Rückenmark getroffen hat.

Und dass diese Niederlage Spuren hinterlassen hat, war in den darauffolgenden Partien zu sehen…

Eberl: Klar hätte sich jeder gewünscht, dass wir eine Woche später wieder als strahlender Sieger vom Platz gehen würden, aber nochmal: Dieses 0:6 war ein Einschnitt. Es war nicht zu spüren, dass so etwas passieren wird. Und wenn so etwas Eklatantes aus dem Nichts heraus passiert, fängst du an zu zweifeln. Seine Gedanken kann man nicht so einfach abheften nach so einem Ereignis. Du musst den Schlüssel, der dich da herausbringt, erst einmal suchen. In Leipzig sind wir dann nach dem 0:2-Rückstand noch mal zurückgekommen. Doch statt dort etwas aufzubauen und einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu machen, haben wir in der Nachspielzeit zwei Gegentore kassiert. Das hat mich geärgert, weil wir uns das Leben, das zu diesem Zeitpunkt schon schwer genug war, damit nochmal schwerer gemacht haben.

Zum Abschluss gab es dann noch ein 2:3 gegen Frankfurt und ein 1:1 in Hoffenheim. Wie bewertest Du diese beiden Partien?

Eberl: Gegen Frankfurt war in der ersten Halbzeit zu erkennen, dass wir gute Schlüsse aus dem Leipzig-Spiel gezogen und versucht haben, die Dinge einfach zu halten. Dann haben wir kurz vor der Pause den Ausgleich kassiert, weil in dieser Phase der Gegner unseren Fehler eiskalt bestraft hat. Nach dem 1:2 sind wir nochmal zurückgekommen, um dann zwei Minuten später wieder durch einen eigenen Fehler alles über den Haufen zu werfen. Das ist kein böser Wille der Mannschaft, das sind Emotionen, die manchmal nicht erklärbar sind. Mit jedem Gegentor wird der Zweifel immer größer. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir uns in Hoffenheim gewehrt und sichtlich gezeigt haben, dass wir dagegen ankämpfen. Auch wenn der Ausgleich in der Nachspielzeit ein Nackenschlag war, war das Spiel für mich ein Schritt in die richtige Richtung.

Kannst Du das noch einmal etwas genauer erläutern?

Eberl: Gegen Frankfurt haben wir wieder 90 Prozent der Dinge richtig gemacht, aber eben nicht 100 Prozent. Und diese fehlenden zehn Prozent sorgen in einer schlechten Phase dafür, dass du die Spiele eben noch verlierst. Genau das passiert bei uns gerade. Von Leipzig zu Frankfurt hat die Mannschaft einen Schritt gemacht und dann in Hoffenheim einen weiteren. Wir müssen jetzt den Fokus auf diese letzten zehn Prozent legen und auch diese noch auf den Platz bringen. Es ist alles noch etwas fragil, aber ich möchte auch, dass von außen gesehen wird, dass wir hart arbeiten, um aus dieser Situation herauszukommen.

Bist Du froh, dass jetzt Winterpause ist und alle neue Kraft tanken können?

Eberl: Ich bin froh, dass wir jetzt mal ein wenig Zeit haben, um durchzuatmen. Die jüngste Phase war sehr intensiv und hat viel Kraft gekostet. Jetzt das Ganze einmal ein Stück weit sacken zu lassen, und zu versuchen, nach dem ganzen Mist der vergangenen Wochen das Positive mitzunehmen, tut uns sicherlich gut.

Was hast Du den Spielern für die Pause mit auf den Weg gegeben?

Eberl: Ich habe den Jungs klipp und klar gesagt, dass ich alles, was nichts mit Borussia und der Rückrunde zu tun hat, bis zum Ende dieses Jahres geklärt wissen möchte. Ich will, dass alle ihren Fokus auf den Verein, die Rückrunde und diese Situation richten. Die Spieler sollen jetzt ein paar Tage im Kreise ihre Liebsten abschalten, um auch etwas Gutes für ihre Psyche zu tun. Trotzdem sollen sie die Zeit auch dazu nutzen, ihre ganzen Belange links und rechts zu klären. Wir werden ebenso ein paar Entscheidungen fällen, um dann sauber und klar die Vorbereitung auf die Rückrunde aufzunehmen.

Kann man nach einer so kurzen Pause eine Art Neustart hinbekommen?

Eberl: Es ist möglich, aber man kann auch nicht alles auf Null stellen. Man ist sich ja der schwierigen Situation bewusst und geht daher mit gewissen Gefühlen in die Rückrunde hinein. Aber es ist möglich, klarere Gedanken zu haben. Der Auftakt mit den Spielen bei den Bayern und dann gegen Leverkusen ist sehr ambitioniert, aber wir nehmen diese Herausforderungen an und wollen versuchen, auch gegen diese Gegner etwas zu holen.

Im neuen Jahr wird es coronabedingt vermutlich erst einmal wieder vor leeren Rängen losgehen…

Eberl: Das ist ein Thema, das wir leider nicht beeinflussen können. Wir können nur hoffen, dass die neue Virusvariante irgendwann auch wieder vorbei sein wird, aber Stand jetzt sieht es zunächst nach einem Notspielbetrieb aus. Damit müssen wir erst einmal klarkommen. Das gilt natürlich für alle Vereine, aber wenn es dir sportlich etwas besser geht, ist der Nachteil sicher etwas geringer.

Was wünscht Du Dir für den Start in das neue Jahr?

Eberl: Wir werden und müssen alle zusammen diese Herausforderung annehmen. Aktuell sind wir in einem Tal, aber ich kann versprechen, dass wir alles dafür tun werden, so schnell wie möglich wieder dort herauszukommen. Ich wünsche mir, dass die Fans das sehen und spüren, und gemeinsam mit uns diesen schwierigen Weg gehen, um am Ende wieder etwas Großes zu schaffen.

Das gesamte Interview könnt ihr euch unten im YouTube-Viode oder ebenso über folgende Podcast-Kanäle anhören:

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