10 Jahre danach: Rettung in der Relegation

Heute vor zehn Jahren, am 25. Mai 2011, sicherte sich Borussia mit einem 1:1 im Relegations-Rückspiel beim VfL Bochum nach einer denkwürdigen Aufholjagd den Klassenerhalt. Zum Jubiläum blicken wir noch einmal zurück.

Das Zwischenziel ist erreicht. Klar, der direkte Nicht-Abstiegsplatz wäre schöner gewesen, aber wer hätte noch vor wenigen Wochen gedacht, dass es überhaupt für den 16. Tabellenplatz reichen könnte? Die Erleichterung nach dem letzten Saisonspiel gegen den Hamburger SV ist riesig, doch nur für einen flüchtigen Augenblick. Nach und nach wird es einem bewusst: Das Schicksal des Vereins entscheidet sich in nur zwei Spielen. 180 Minuten ums nackte Überleben. Vielleicht sogar ein glückliches oder unglückliches Füßchen beim Elfmeterschießen sollen über Happy End oder Misserfolg entscheiden. „Wir sind noch da, aber noch nicht durch“, warnt Favre. „Es steht 50 zu 50.“ Borussias Cheftrainer hat so ein Gefühl, welcher Gegner auf seine Mannschaft zukommen könnte. Obwohl am letzten Spieltag der Zweitliga-Saison 2010/11 sowohl Greuther Fürth als auch der VfL Bochum Chancen auf den dritten Tabellenplatz haben, entscheidet er sich dazu, das Saisonfinale zwischen Bochum und dem MSV Duisburg zu besuchen. Der Schweizer liegt richtig und sieht Borussias Relegationsgegner.

Nur vier Tage später tritt der Revierklub im BORUSSIA-PARK zum Hinspiel an. 54.057 Fans im Stadion, ausverkauftes Haus. Die Partie wird in 182 Ländern live übertragen, eine unfassbare Bühne für den ersten Teil des Showdowns. Die Spannung auf den Rängen und auf dem Platz ist spürbar und für den einen oder anderen kaum auszuhalten, obwohl die FohlenElf Stresssituationen in dieser Saison zu Genüge kennenlernen musste. Man sei der Favorit und so wolle man auch in das Spiel hineingehen, erklärt Marco Reus vor dem Duell. Einfacher gesagt als getan. Borussias Offensivbemühungen werden von Beginn an unterbunden. Wurde der VfL Bochum kurz zuvor auf der Autobahn von einem Stau ausgebremst, so fügt er den Fohlen dasselbe Schicksal nun auf dem Platz zu. Doch nicht nur das. „Wir wollen Nadelstiche setzen“, kündigte Bochums Trainer Friedhelm Funkel an, und das tun seine Männer auch. Fünf Minuten sind gespielt, da muss Filip Daems bereits in allerhöchster Not einen Kopfball auf der Linie klären. Sogar die Latte hilft mit, dass Borussia nicht sofort einem Rückstand hinterherlaufen muss.

Ein zähes Ringen

Schlagartig wird es einem noch mehr bewusst: Hier steht eine Menge auf dem Spiel. Und in Bochum begegnet man einem Gegner auf Augenhöhe. Nur wenige Minuten später fasst sich Mo Idrissou links am Strafraum ein Herz und zieht ab, doch Bochums Keeper Andreas Luthe ist zur Stelle. Nach 21 Minuten erneut eine gute Gelegenheit für die Gäste. Innenverteidiger Marcel Maltritz prüft Marc-André ter Stegen, doch der Torhüter ist hellwach und pariert.

Das Treiben auf dem Platz offenbart mehr und mehr, welcher Druck auf den beiden Mannschaften lastet. Die Nervosität macht einen strukturierten Spielaufbau nur selten möglich. Zudem ist Geduld gegen Bochums Defensivriegel gefragt. So geht es mit einem 0:0 und einem mulmigen Gefühl in die Halbzeitpause. Beide Teams machen auch nach Wiederanpfiff dort weiter, wo sie aufgehört haben. Zwar sind die Bemühungen zu sehen, doch die zündenden Ideen fehlen. Es ist ein zähes Ringen um jeden Meter. In der 67. Minute der erste Wechsel auf Gladbacher Seite. Igor de Camargo ersetzt den aufopferungsvoll kämpfenden Idrissou. Aufgrund einer langwierigen Verletzung war der Brasilianer kein Kandidat für die Startelf. „Er ist aber als Joker eine wichtige Option“, sagte Favre vor dem Spiel. Und siehe da, auf einmal dreht die FohlenElf nochmal richtig auf. Nicht nur wegen der Einwechslung, vor allem, weil der BORUSSIA-PARK seine Anspannung in Lautstärke umwandelt und die Mannschaft nach vorne peitscht. Arango flankt butterweich in den Fünfmeterraum zu Hanke. Der kann nicht kontrolliert abschließen und setzt den Ball über die Latte. Ein Tor liegt in der Luft.

22:22 Uhr

Borussia wittert die Chance, kommt immer häufiger vor das gegnerische Gehäuse. Hanke erarbeitet sich Torabschluss um Torabschluss, Arango nimmt volles Risiko und hämmert den Ball nach einer Direktabnahme auf den Bochumer Kasten, doch gibt es ein Problem: Andreas Luthe. Bochums Keeper avanciert mehr und mehr zum Matchwinner, pariert sich in einen Rausch. Schüttelnde Köpfe, wo man hinsieht. „Der ist heute unüberwindbar“, werden sich nicht wenige gedacht haben.

Zwei Minuten. Die Nachspielzeit leuchtet rot auf schwarz auf der Anzeigetafel. Unerbittlich vergeht Sekunde um Sekunde, ohne, dass die Mannschaft von Lucien Favre die Gefahr weiter aufrechterhalten kann. 22:22 Uhr, die zwei Minuten sind vorbei, doch lässt Schiedsrichter Günter Perl aufgrund von Unterbrechungen das Spiel laufen. Havard Nordtveit darf noch mal einen seiner berühmten, langen Einwürfe in den Strafraum katapultieren.

Der Einwurf wird von einem Bochumer Verteidiger gefährlich vor das Tor verlängert. Der Ball findet de Camargos Kopf. Wieder ist Luthe da, haut den Ball zur Seite weg. Arango drischt ihn zurück in die gefährliche Zone. Dort springt die Kugel von Hanke über Umwege zurück zu de Camargo, und der bugsierte den Ball mit dem Außenrist gekonnt unter die Latte. Der BORUSSIA-PARK bebt, de Camargo breitet die Arme aus, läuft zur Eckfahne und genießt den Jubel. Wenig später rauscht eine Jubeltraube aus Mitspielern heran, der 28-Jährige ist nicht mehr zu sehen, jeder möchte den Schützen des goldenen Tores berühren. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den letzten Jahren so was erlebt habe“, sagt Hanke nach dem Spiel. „Unser Jubel war intensiver als nach dem 1:0 von Oliver Neuville bei der WM 2006.“ „Igor de Camargo der Held“, titelt die Rheinische Post am nächsten Tag. „Caramba, Caracho, Camargo!“, heißt es in der BILD-Zeitung. Doch mischt sich auch Sorge unter die sonst endlose Freude. Borussias Senkrechtstarter Marco Reus kämpft nach dem Spiel mit Oberschenkelproblemen. Verdacht auf Muskelfaserriss. Sein Einsatz für das Rückspiel ist ungewiss…

Rückspiel: Alles oder nichts

Der schlimmste Fall ist nicht eingetroffen. Gerissen ist bei Reus nichts, doch bleibt es weiterhin ein Wettrennen gegen die Zeit. Mit zehn Toren und neun Vorlagen in der Saison hat der Youngster seine Wichtigkeit für die Mannschaft bewiesen. Kaum vorzustellen, ausgerechnet in Bochum auf den Torgaranten verzichten zu müssen. Reus kann letztlich aber mit nach Bochum fahren, sogar für die Startelf reicht es. 4.000 optimistische Borussia-Fans begleiten die Mannschaft ins Rewirpower-Stadion. Nach dem Erfolg im Hinspiel kann sich keiner mehr vorstellen, dass der Klassenerhalt nicht gelingt.

Doch wieder einmal zeigen die Bochumer ihren unbändigen Willen, nach einer starken Saison den Aufstieg klarmachen zu wollen, und das aus ihrer Sicht ärgerliche, späte Gegentor von de Camargo auszugleichen. Borussia zeigt sich von der Leidenschaft beeindruckt, überlässt den Hausherren die Initiative. Es dauert keine fünf Minuten bis zur ersten Schrecksekunde. Nach einer Ecke kommt Marcel Maltritz zum Kopfball. Der Ball landet an der Querlatte von ter Stegens Kasten. Durchschnaufen. Irgendwie versuchen die Borussen, ins Spiel zu kommen. Nach vorne geht allerdings nicht viel. Meist folgen lange Bälle, die für Bochums Defensive keine wirkliche Gefahr darstellen. Und so kommt es, wie es kommen muss: Bochums Stürmer Aydin findet auf der linken Seite den in den Gladbacher Strafraum sprintenden Dabrowski. Der möchte den Ball nochmal querlegen. Sein Pass bleibt allerdings bei Nordtveit hängen, doch ist es dem Norweger nicht mehr möglich, den Ball zu kontrollieren. So kullert das Leder ins eigene Tor. 0:1, Ausgleich in der Relegation. Auf einmal lässt sich das Abstiegsgespenst wieder blicken. Die Angst ist da, dass der VfL Bochum nun das Momentum auf seiner Seite hat. Die Nervenschlacht erreicht ein neues Level. Die Fohlen lassen aber die Köpfe nicht hängen, versuchen, sich ins Spiel hineinzukämpfen. Zur ersten richtigen Torchance soll es erst in der 41. Minute kommen, doch die hat es in sich. Ein Kopfball von Mo Idrissou landet an der Latte. Zwar kein erlösendes Tor, aber in der Halbzeitpause das Gefühl, hier noch nichts verloren zu haben.

Die Erlösung

So beginnt Halbzeit zwei mit einer deutlich verbesserten Borussia. Mit mehr Laufbereitschaft, mehr Konsequenz nach vorne, mehr Chancen. Wie im Hinspiel kommt de Camargo für die Schlussphase wieder in die Partie. Die Hoffnung auf den nächsten besonderen Moment steigt, und der soll vier Minuten nach der Einwechslung folgen. Nach einer sehenswerten Kombination bedient de Camargo Reus, der in den Strafraum eindringt und rechts unten ins Eck einnetzt. Keine Chance für Luthe. Der VfL Bochum braucht jetzt noch zwei Tore. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, doch das tut es nicht mehr. Die letzten Minuten hält Borussia Bochum geschickt vom eigenen Tor weg, von der anfänglichen Nervosität ist nichts mehr zu spüren.

Schon vor dem erlösenden Abpfiff von Schiedsrichter Gagelmann wird an der Ersatzbank getanzt, Marco Reus mittendrin. Trotz angeschlagenem Oberschenkel hält der Angreifer bis fünf Minuten vor dem Spielende durch und holt sich dann den verdienten Applaus ab. „Ich habe auf die Zähne gebissen. Ich wollte unbedingt dabei sein“, sagt Reus, und die BILD schreibt am Tag darauf: „Danke, Marco! Der Albtraum ist vorbei.“

Es ist die Erlösung nach einer unglaublich komplizierten Saison. Favre reckt nach Abpfiff die geballten Fäuste in den Himmel und hüpft jubelnd über den Rasen. Das Wunder ist tatsächlich vollbracht. Die Feier mit den mitgereisten Fans kennt keine Grenzen. „Nie mehr Zweite Liga! Nie mehr, nie mehr!“, halt es von den Rängen. Noch bis spät in die Nacht wird ausgelassen gefeiert. Aber man ist sich auch einig, dass die nächste Saison gerne ruhiger verlaufen darf. Martin Stranzl bringt es auf den Punkt: „Den Nervenkitzel brauchst du kein zweites Mal.“

Dieser Text ist erstmals im „FohlenEcho – Das Magazin“, Ausgabe 70, erschienen. Wenn ihr das FohlenEcho-Mitgliedermagazin auch regelmäßig in eurem Briefkasten haben wollt, dann macht euch Borussia unter mitglied.borussia.de!

Viel Krampf, wenig Leichtigkeit: Der VfL Bochum ist der erwartet unangenehme Gegner. Foto: Wiechmann
Die Fans stehen voll hinter Borussia und hoffen auf den Verbleib in Liga eins. Foto: Wiechmann
Einer trifft, und alle rasten aus. Igor de Camargo und die 93. Minute im BORUSSIA-PARK.
Nach dem Last-Minute-Tor kannte der Jubel keine Grenzen mehr.
Marco Reus gleicht das Eigentor von Havard Nordtveit aus – und die Fans wissen, was das bedeutet. Fotos: Imago Images/Sven Simon
Der Ausgleich ist die Erlösung für alle VfL-Fans. Foto: Wiechmann
ist vollbracht: Hanke, de Camargo und Reus zeigen sich nach dem Schlusspfiff in der Kurve. Foto: Imago Images/Horstmüller
Nach dem Spiel lässt die Mannschaft ihren Trainer Lucien Favre hochleben.

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